Feilen Sie stundenlang an Ihrer Arbeit? Haben Sie eine innere Stimme, der Sie nicht ruhen lässt, bis alles vollkommen ist? Die es immer noch besser weiss und nicht zufrieden ist? Falls ja, willkommen im Club der Perfektionisten! Rund ein Viertel der Menschen bezeichnet sich als Perfektionisten. Die meisten sind stolz darauf und heben dies als aussergewöhnliches Persönlichkeitsmerkmal hervor.
Speziell bei den (Deutsch-)Schweizern und Deutschen ist der Drang, immer alles richtig zu machen, stark verankert und gehört irgendwie zum Selbstbild. Der frühere deutsche Bundeskanzler Willy Brandt bezeichnete den Perfektionismus einmal als „schreckliches und nicht nur deutsches Laster“.

Perfekte Vorbilder?
Bekannte Perfektionisten sind Vincent van Gogh, Steve Jobs, aber auch Madonna und Loriot. Sie alle könnte man als geradezu pathologisch in ihrem Streben nach dem perfekten Bild, Produkt, Song oder Film bezeichnen. Van Gogh war nie zufrieden mit dem, was er auf die Leinwand bannte. Seine Bilder berühren heute Millionen von Menschen. Steve Jobs war zwar ein genialer Visionär und hat tolle Produkte entwickelt, trieb aber seine Mitarbeitenden zur Verzweiflung.
Von Madonna weiss man, dass sie ein Kontroll-Freak ist. Auch in Bezug auf ihren Körper. Eine deutsche BRIGITTE-Journalistin beschreibt die 55-jährige Madonna als „seelenlose Perfektion“, die immer noch nach dem perfekten Körper strebt. Und bei Loriot, dessen Metier der Humor war, hatten seine Mitarbeitenden anscheinend wenig Grund zum Lachen.Doch schauen wir uns die beiden Seiten des Perfektionismus mal an:
Tugend …
In gewissen Berufen muss man pedantisch genau sein, da ist das Streben nach Perfektion wichtig. Ein Buchhalter darf die Fünf nicht gerade sein lassen, sonst stimmt am Ende die Bilanz nicht. Eine Pilotin braucht Eigenschaften wie Gewissenhaftigkeit, Einsatzwille und Verantwortungsbewusstsein. Von einem Chirurgen erwarten wir 100% Leistung, auch wenn er schon viele Stunden operiert hat … Dass dies nicht immer möglich ist, zeigen die leider ab und zu vorkommenden Operationsfehler. Ärzte sind halt auch nur Menschen und keine Götter in Weiss, sie brauchen ihre Ruhepausen und normale Arbeitszeiten.
… oder Laster?
Das Streben nach Vollkommenheit kann rasch in einen übertriebenen und ungesunden Kontrollwahn, eine Verbesserungsmanie und einen extremen Leistungsdruck abdriften. Ist die zehnte Version eines Briefes wirklich besser als die dritte? Muss die Präsentation wirklich bis ins letzte Detail perfekt sein? Geht es um eine tolle Leistung oder sind im Grunde genommen Versagensängste die Treiber? Befürchtet man, keine Anerkennung oder Liebe zu bekommen, wenn man unperfekt ist?
Burn-out ist in aller Munde und hat viel mit hohen Ansprüchen an die eigene Leistung zu tun. Man schätzt, dass gut zwei Drittel aller jobbedingten Depressionen mit einem übertriebenen Perfektionismus einhergehen. Damit setzen die Betroffenen nicht nur sich selbst unter Stress, sondern auch ihr berufliches und privates Umfeld. Niemand genügt mehr den Ansprüchen – bis man schliesslich nicht mehr leisten kann, weil die Seele krank ist. Auch Erschöpfung, Migräne, Schlafstörungen, Tinnitus und andere physische Beschwerden können auf eine Überforderung und Stress hindeuten.
Was tun?
Ein erster Schritt kann eine schriftliche Auflistung aller Vor- und Nachteile von Ihrem Perfektionismus sein. Schreiben Sie auch auf, in welchen Bereichen sich Ihr Perfektionismus in erster Linie äussert und was passieren würde, wenn Sie etwas nicht perfekt machen würden. So gelangen Sie langsam zum Kern, nämlich zu den Gründen und Ängsten. Schreiben Sie auch diese auf.
Nun geht’s zu den ersten Lockerungsübungen: Überlegen Sie, wer in Ihrem Umfeld durch ein entspanntes und doch erfolgreiches Verhalten auffällt. Und wie Ihre Freunde mit Fehlern umgehen. Vielleicht ist es auch hilfreich, mit Freunden darüber zu reden. Manchmal erfährt man Erstaunliches. Vielleicht mögen Sie eine Liste anlegen mit Aufgaben, die nicht perfekt oder gar nicht erledigt werden müssen? Damit könnten Sie anfangen zu üben, nicht perfekt zu sein.
Das Selbstwertgefühl
Sich selbst akzeptieren, mit allen Fehlern und Schwächen, das ist für viele keine leichte Aufgabe. Wurde doch schon in der Schule die Leistung benotet, die Eltern waren stolz auf ihr Kind, wenn es ein gutes Zeugnis heimbrachte. Doch Leistung ist nicht alles – und die meisten Menschen sind umso liebenswerter, wenn man ihre Schwächen und Fehler kennt. Sich selbst lieben bedeutet auch, nicht abhängig vom Urteil anderer zu sein. Denn je mehr ich mich selbst akzeptiere und liebe, desto weniger muss ich anderen und mir selbst beweisen, dass ich perfekt bin.
Perfekte Kollegen
Ein paar Worte noch zu perfekten Kollegen und Kolleginnen: sie können eine ziemliche Belastung fürs Arbeitsklima sein. Sprechen Sie sie ruhig darauf an, dass sie sich mit ihren übertriebenen Ansprüchen selbst schaden – und auch den anderen im Team das Leben schwer machen. Geschweige denn vom Nutzen für die Firma: Übertriebener Perfektionismus kostet Zeit und Geld und bringt unter dem Strich ganz wenig, ausser vielleicht dem Ego des Perfektionisten!
Zum Schluss ein heilsames Motto für alle unter uns mit Tendenz zum Perfektionisten:
„Ich mache alles so gut, wie ich es kann – vor allem aber mit Spass!“